Gender und Sexualität in islamischem und nahöstlichem Recht

Die Frage nach der Konzeptualisierung von Geschlechtervorstellungen im islamischen Recht hat seit den 1980er-Jahren und mehr noch den 1990er-Jahren immer mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seitdem wurden Theorien und Methoden aus der Forschung zum islamischen Recht mit Methoden aus dem Fach Gender Studies kombiniert, um Geschlechterkonzeptionen – und später auch Sexualität – im islamischen Recht zu untersuchen, was zu einer Reihe von Publikationen in diesem neuen Forschungsfeld geführt hat. Diese Veröffentlichungen untersuchen den Themenkomplex anhand von Fragestellungen mit Bezug auf verschiedene historische Perioden, geographische Regionen und unterschiedliche Fallstudien.

Grundlegend interessieren wir uns in diesem Bereich insbesondere für die Intersektion zwischen Genderfragen, Sexualität und religiösem sowie säkularem Recht in der Region des Nahen und Mittleren Ostens.

Konkret beschäftigen wir uns mit der Konstruktion von Femininität und Maskulinität innerhalb des islamischen Rechtsdiskurses, oder auch mit LGBTQI-Fragen und der Situation von anderen Minderheiten im Nahen und Mittleren Osten, wobei wir insbesondere juristische Belange in den Vordergrund unserer Arbeit stellen.

Ein weiteres – mit den bereits ausgeführten Fragen in Verbindung stehendes – Forschungsfeld, in dem wir arbeiten, untersucht die verschiedenen Ausprägungen von Feminismus in der arabischen Welt. Hier analysieren wir den die wechselseitige Beeinflussung zwischen feministischen Bewegungen und Gesetzgebungsprozessen in der Region.

Wir verfolgen im Hinblick auf die Befragung unseres Forschungsgegenstands einen intersektionalen Ansatz. Dies gilt insbesondere auch für die Beziehung zwischen Menschen und Recht. Eines unserer zukünftigen Projekte untersucht beispielsweise den Einfluss der sich überschneidenden Faktoren Gender, Klasse, race und Religion in Bezug auf unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse wie Sklaverei und Zwangsarbeit. Ausserdem integrieren wir wann immer möglich Methoden aus dem Feld der Digital Humanities in unsere Forschung. Dieser Ansatz ermöglicht es Forschenden heute einerseits, einen weit grösseren Quellenkorpus zu bearbeiten. Zum anderen helfen diese Methoden uns, historische Veränderungen über einen weiten Zeitraum hinweg zu verfolgen und auch geographisch konnotierte Besonderheiten zu erkennen und zu analysieren. Dies trifft beispielsweise auf juristische Terminologie bezüglich Gender und Sexualität zu.

Solch eine Forschung ermöglicht die Hinterfragung weit verbreiteter Stereotype in Bezug auf Geschlecht und Islam, wie sie insbesondere in westlichen Medien präsent sind. Sie zielt darauf ab, ein detaillierteres und auf Forschungsergebnissen basierendes Bild verschiedener muslimischer Verständnisse von Gender und Sexualität in der Vergangenheit zu vermitteln und fragt nach den daraus resultierenden Implikationen für ein zeitgenössisches Verständnis dieser Thematik.

Im Moment arbeiten wir an einer Reihe von Publikationen im beschriebenen Forschungsfeld:

  • Serena Tolino, Eunuchs in the Fatimid Empire (Monographie);
  • Gemeinsame Herausgabe einer Sonderausgabe der Zeitschrift Studi Magrebini mit Carlo de Angelo (Neapel) über “The Body in Islamic Law”;
  • Laura Emunds, Conceptualizations of Labour in Islamic Law beyond the Freedom/Slavery Binary: The Case of the kitāba (Dissertationsprojekt);
  • Laura Emunds, Framing the ‘human commodity’: Descriptions of enslaved bodies in purchase deeds from the 3rd/9th to the 8th/14th centuries (Zeitschriftenartikel) 
  • Laura Rowitz, The kafāla and the follow-ups of slavery – an intersectional approach to unfree labour relations in the Gulf (Dissertationsprojekt).